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corporAID MagazinP.B.B. VERLAGSPOSTAMT 1040 WIEN 13Z039704 MAUSGABE 72 ◆ NOVEMBER | DEZEMBER 2017CORPORAID IST EINE INITIATIVE VONDAS ÖSTERREICHISCHE MAGAZIN FÜR WIRTSCHAFT, ENTWICKLUNG UND GLOBALE VERANTWORTUNGCircular Economy: Vom Konzept zur Business-StrategieGetzner-CEO Josef Lampert: Boom-Geschäft in AfrikaBis ins letzte DorfEin Leben ohne Stromanschluss ist für mehr als eine Milliarde Menschen noch immer Alltag. Innovative österreichische Unternehmer sind vorne mit dabei, wenn es um leistbare Energielösungen geht.Seidenstraße:China vernetzt die WeltDie digitale Evolution ist ein Segen für den Qualitätsjournalismus. Denn was muss er können? Er muss kompakt, tief gehend sowie hintergründig informieren, schnell und unverkennbar sein. Und dieser Anspruch darf auch etwas kosten. Denn mit Selbstverständlichkeit ist die Redaktion online und jetzt noch stärker digital. So wie wir seit 1848 kritisch schreiben und unbeirrbar unsere Linie verfolgen. Egal wo, egal wie, egal wann.Aber sehen Sie selbst. – DiePresse.comRainer Nowak Chefredakteur und HerausgeberUnsere digitaleJetzt testenDiePresse.comDigital-Abo Zugang zu allen premium-Inhalten Täglich die besten Stücke der vielfach ausgezeichneten Redaktion Zehn Tage kostenlos lesenDas corporAID Magazin möchte die mit einer nachhaltigen Gestaltung der Globalisierung verbundenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Chan-cen in den Horizont der öster-reichischen Wirtschaft rücken. Das bedeutet nicht, dass wir uns und Ihnen die Welt schön malen und die Augen vor den weltweiten Herausforderungen verschließen. Wir setzen nicht nur deshalb auf Optimismus, weil Pessimismus an sich wenig produktiv ist, sondern weil wir an die gewaltige innovative Kraft von Unter-nehmen glauben. Lesen Sie ab Seite 30, wie sich das Cradle to Cradle-Konzept in immer mehr Branchen durchsetzt. Oder wie dank österreichischem Know-how entlegene Dörfer in Afrika Zugang zu sauberer Energie erhalten (ab Seite 20) und Bau-ern in Brasilien von Diesel auf Biogas umsteigen (ab Seite 36). Ab Seite 16 ein Beitrag, wie die Entwicklungzusammenarbeit die Innovationskraft von Unter-nehmen entfesseln und nutzen möchte. Im großen Interview ab Seite 6 diesmal Josef Lam-pert, CEO des Vorarlberger Textilproduzenten Getzner.Eine anregende Lektüre!EditorialBERNHARD WEBERWirtschaft gestaltet Globalisierung.Und damit die Welt von morgen.Unternehmen schaffen Wohlstand.Und damit die Basis für Entwicklung.corporAID bewegt Unternehmen.Damit globale Armut von gestern wird.Unternehmen unterstützen corporAID:corporAID Magazin November | Dezember 201703IMPRESSUM Medieninhaber: ICEP Wirtschaft & Entwicklung GmbH, Möllwaldplatz 5, 1040 Wien, Tel. 01-9690254, office@corporaid.at, www.corporaid.at, www.icep.atHerausgeber: Bernhard Weber | Chefredakteur: Christoph EderChef vom Dienst: Melanie Pölzinger | Grafik: Mihai M. MitreaRedaktion: Victoria Grabenwöger, Katharina Kainz-Traxler, Sophie Langer-Hansel, Ursula Weber, Gudrun ZimmerlAnzeigen: Nina Bennett, n.bennett@icep.atDruck: Styria GmbH & Co KG; Auflage: 73.000 StückAbobestellung: abo@corporaid.atBLATTLINIE Als von politischen Parteien, Interessensvertretungen und Institutionen un-abhängige Initiative vertritt corporAID die Auffassung, dass wirtschaftliche Entwicklung eine entscheidende Grundlage von Armutsminderung und daher Globalisierung eine Chance für globale Entwicklung ist. Das corporAID Magazin möchte für globale Armutsbe-kämpfung etwas bewegen, indem es fundiert und sachgerecht zentrale Fragestellungen der Globalisierung für Wirtschaft und Gesellschaft beleuchtet, zum Verstehen des Zusam-menwirkens von Wirtschaft und Entwicklung beiträgt und die mit einer nachhaltigen Ge-staltung der Globalisierung verbundenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Chan-cen in den Horizont der österreichischen Wirtschaft rückt. corporAID bekennt sich zu den Grundsätzen der Meinungsfreiheit, der sozialen Gerechtigkeit, der öko-sozialen Markt-wirtschaft, des gegenseitigen Respekts sowie der Eigenverantwortung des Menschen.Die corporAID Ausgabe Jänner | Februar 2018 erscheint am 21.12.2017 in der Tageszeitung Die Presse.MIT UNTERSTÜTZUNG VONEINE INITIATIVE VON* Die Teilnahme am Gewinnspiel ist kostenlos und bis 31.1.2018 möglich. Es gelten die Teilnahmebedingungen auf www.verbund.at/energiezukunft.Helden der Energiezukunft sind sauber unterwegs. Danke, Wasserkraft!Energieträger:Wasserkraft100 %Stromkennzeichnung gem. § 78 Abs.1 und 2 ElWOG 2010 und Stromkennzeichnungs-VO 2011 für den Zeit-raum 1.1.2016 bis 31.12.2016. Durch den vorliegenden Versorgermix fallen weder CO2-Emissionen noch radioaktive Abfälle an. 100 % der Nachweise stammen aus Österreich.VERBUND bringt saubere E-Mobilität auf die Straße: mit Strom aus 100 % österreichischer Wasserkraft und dem schnellsten flächendeckenden Ladenetz Österreichs – gemeinsam mit SMATRICS. Fahren auch Sie sauber in die Energiezukunft und gewinnen Sie bei der VERBUND Helden Rallye den neuen VW e-Golf – mehr auf verbund.at/energiezukunftJetzt VW e-Golfgewinnen!*Einfach auf verbund.at/energiezukunft oder shazamen.Inhalt05corporAID Magazin November | Dezember 2017* Die Teilnahme am Gewinnspiel ist kostenlos und bis 31.1.2018 möglich. Es gelten die Teilnahmebedingungen auf www.verbund.at/energiezukunft.Helden der Energiezukunft sind sauber unterwegs. Danke, Wasserkraft!Energieträger:Wasserkraft100 %Stromkennzeichnung gem. § 78 Abs.1 und 2 ElWOG 2010 und Stromkennzeichnungs-VO 2011 für den Zeit-raum 1.1.2016 bis 31.12.2016. Durch den vorliegenden Versorgermix fallen weder CO2-Emissionen noch radioaktive Abfälle an. 100 % der Nachweise stammen aus Österreich.VERBUND bringt saubere E-Mobilität auf die Straße: mit Strom aus 100 % österreichischer Wasserkraft und dem schnellsten flächendeckenden Ladenetz Österreichs – gemeinsam mit SMATRICS. Fahren auch Sie sauber in die Energiezukunft und gewinnen Sie bei der VERBUND Helden Rallye den neuen VW e-Golf – mehr auf verbund.at/energiezukunftJetzt VW e-Golfgewinnen!*Einfach auf verbund.at/energiezukunft oder shazamen.INTERVIEW MIT JOSEF LAMPERTAfrikanische Boubous statt BettwäscheLEITARTIKEL Viel zu tunDIE AKTUELLE ZAHL 4.000TERMINE & NACHLESEglobal.businessSEIDENSTRASSE Chinas AngebotENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEITNeue Impulse für globale Herausforderungennew.business OFF-GRID-ENERGIEDie Sonne schickt keine RechnungENTWICKLUNGSBANKProjekte fallen nicht vom Himmelethical.businessGOOD PRACTICE Wer Österreich bewegtKREISLAUFWIRTSCHAFTKein Abfall, sondern RohstoffGLOBALE CSRBesseres BusinessWIRTSCHAFTSPARTNERSCHAFT Biogasmobilität für Brasiliens Bauern 61010381112161920242728303436Die Sonne schickt keine Rechnung Warten, bis die staatliche Stromversorgung bis ins letzte Dorf kommt? Das kann in manchen Gegenden Afrikas und Asiens ewig dauern. Immer mehr Haushalte und Dörfer setzen daher auf umweltfreundliche Off-Grid-Technologien für den schnelleren Einstieg in ein Leben mit Elektrizität. Auch österreichische Unternehmer bieten Lösungen für den Zugang zu Strom fernab öffentlicher Strommasten. 20SEIDENSTRASSE Chinas AngebotINTERVIEW MIT JOSEF LAMPERT Afrikanische Boubous statt BettwäscheKREISLAUFWIRTSCHAFTKein Abfall, sondern RohstoffAlle Inhalte finden Sie auch auf www.corporAID.at6123006FOTO: BIRGIT RIEDMANNcorporAID Magazin November | Dezember 2017Afrikanische Boubous statt BettwäscheInterviewJOSEF LAMPERT ist seit 2013 Vorstandsvorsitzender der Getzner Textil AG. Der 64-jährige Vorarlberger begann seine berufliche Laufbahn in den 1970er Jahren im Holz- und Furnierhandel, wo er mehrere Jahre den kaufmännischen Bereich verantwortete. Nach einem Zwischenstopp im internationalen Stahltrading stieg Lampert 1990 bei der Getzner Textil AG ein und wurde 1996 zum Vorstand für Finanzen und Logistik bestellt. Lampert ist verheiratet, hat drei Söhne und drei Enkelkinder.CORPORAID: Getzner Textil ist auf Wachstumskurs – wie beurteilen Sie die Wirtschaftslage allgemein und für Ihr Unternehmen? LAMPERT: Ich sehe die Wirt-schaftslage in Europa recht positiv. Auch in Österreich sind die Wirt-schaftsdaten gut, die Arbeitslosen-zahlen gehen zurück. Die Getzner Textil Gruppe plant, bis 2021 um mehr als 40 Prozent zu wachsen. Dieses Wachstum wird in erster Linie aus den Bereichen Beklei-dungsdamaste für Afrika und Tech-nikgewebe für Auto, Bahn und Bus kommen. Unser Fokus liegt zwar auf organischem Wachstum, aber insbesondere im Bereich der tech-nischen Produkte möchte ich wei-tere Firmenzukäufe nicht ausschließen. Hier geht es uns darum, neben den afrikanischen Beklei-dungsdamasten, die heute rund 60 Prozent des Gesamtumsatzes ausmachen, ein zweites Standbein aufzubauen und damit die Stabilität des Unter-nehmens zu erhöhen. Dazu wollen wir auch neue Märkte erschließen: So überlegen wir im Segment Sitz-bezüge den Fahrzeugherstellern in die jeweiligen Produktionsländer zu folgen – beispielsweise nach Mit-tel- und Südamerika.Wie beurteilen Sie den Standort Österreich für international tätige Unternehmen? LAMPERT: Ich finde, dass wir in Österreich sehr gut dran sind. Hier stimmen die Infrastruktur und die Mentalität der Menschen. Die verbreitete Jammerei über die Poli-tik halte ich für übertrieben, auch wenn niedrigere Lohnnebenkosten natürlich wünschenswert wären. Der Vorarlberger Buntweber Getzner Textil erzielt zwei Drittel seines Umsatzes mit Damaststoffen für traditionelle westafrikanische Gewänder. Vorstandsvorsitzender Josef Lampert erzählt, wie Getzner vor 40 Jahren von Bludenz nach Bamako kam, und warum das Unternehmen heute mit der rasant wachsenden Nachfrage kaum mithalten kann. DAS GESPRÄCH FÜHRTE BERNHARD WEBER.Fachpersonal zu finden ist heraus-fordernd, nicht zuletzt weil es nur noch wenige Textilschulen in Öster-reich gibt – mittlerweile haben wir viele Mitarbeiter aus Deutschland und anderen Ländern. Um neue wie bestehende Mitarbeiter vor allem im textilen Bereich schulen zu können, haben wir die hauseigene Getzner Akademie eingerichtet. Wir bilden aktuell knapp 90 Lehrlinge aus, sie sind unser Kapital für die Zukunft. Eine Herausforderung ist sicher auch, gute Manager zu gewinnen, die Erfahrung im Textilbereich haben und bereit sind, international zu reisen. Welche Bedeutung hat die Glo-balisierung der Wirtschaft für den Standort Österreich?LAMPERT: Bevor Öster-reich Mitglied der Euro-päischen Union war, hatte Getzner Textil wenig Chancen zu expandieren. Der EU-Beitritt brachte dann einen großen Schub – innerhalb eines Jahres sind wir um 100 Prozent gewachsen. Durch die Globalisierung können wir heute Gewebe etwa auch nach Fernost liefern, was früher nicht möglich gewesen wäre. Die Globali-sierung hat aber auch dazu geführt, dass wir hier in Europa eigentlich nur noch Nischengeschäfte machen. Speziell im Mode- und Wäschebe-reich kann der Handel einfach viel günstiger in Asien einkaufen. Bett-wäsche machen wir zum Beispiel gar keine mehr, das wird ja mitt-lerweile alles importiert. Trotzdem: Die negative Besetzung von Globa-lisierung führe ich vor allem auf die Medien zurück. Globalisierung wird schlechter dargestellt als sie statt BettwäscheGlobalisierung wird schlechter dargestellt als sie in Wirklichkeit ist. J. LAMPERTcorporAID Magazin November | Dezember 201707▶tatsächlich ist. Dabei wer-den die Chancen übersehen, die wir durch diese Dyna-mik in Europa bekommen haben. Wie kam es zu Ihrer star-ken Präsenz in Westafrika?LAMPERT: Getzner war früher vor allem als Hersteller von Damast-bettwäsche bekannt. Ende der 1970er Jahre kam es dann zum Wechsel von gewebten auf bedruckte Stoffe, die leich-ter waschbar und einfacher zu bügeln sind. Getzner saß auf zwei Millionen Metern Damaststoff, die in Europa quasi unverkäuf-lich waren. Wir haben dann versucht, diese Ware in Afrika zu vertreiben – mit uner-wartetem Erfolg: Inner-halb von sechs Wochen war alles verkauft. Seither liefern wir Damast nach Afrika und sind in die-sem Bereich heute Marktführer. Bis 2005 haben wir im Schnitt knapp zwei Millionen Meter im Jahr in Afrika abge-setzt. Der Boom kam ausgerech-net 2008 mit der Finanzkrise. Wir hatten eine Afrika-Strategie in der Schublade, um mittelfristig auf zehn Millionen Meter zu kommen. Diesen Plan haben wir Die Getzner Textil AG ist ein international tätiger Textilhersteller, der aus dem 1818 gegründeten Vorarlberger Familienunternehmen Getzner her-vorging. Heute ist das Unternehmen einer der größten Buntweber der Welt und Marktführer in der Herstellung von hochwertigen Bekleidungsdama-sten, die vorwiegend nach Westafrika exportiert werden. Weitere Produkte im Sortiment sind technische Stoffe sowie Modestoffe und Arbeitsbeklei-dung. Mit einem Exportanteil von 98 Prozent verkauft die Getzner Textil AG ihre Produkte direkt in 60 Länder und vereint acht Tochterunternehmen aus der Textilproduktion in Deutschland und der Schweiz unter ihrem Dach. Aktuell beschäftigt das Unternehmen rund 1.500 Mitarbeiter, davon 860 am Vorarlberger Standort Bludenz. Im Geschäftsjahr 2016 steigerte Getzner Textil seinen Umsatz um 40 Prozent und erwirtschaftete 282 Mio. Euro.dann in nur 18 Monaten umgesetzt. Heute verkaufen wir bis zu 30 Milli-onen Meter Damast im Jahr. Wie sehen Ihre afrikanischen Märkte im Detail aus?LAMPERT: Afrika bedeutet für Getzner Westafrika. Das Hauptab-nehmerland ist Mali, dazu kom-men Senegal, Benin, Côte d’Ivoire und Nigeria, aber auch Ghana, der Tschad oder Togo. Früher trugen nur muslimische Männer die traditionellen Boubous, mittlerweile gelten diese Gewänder in der Region allgemein als festliche Kleidung – und seit einigen Jahren tragen auch Frauen Damaste. Und in Afrika ist es genau so wie bei uns in Europa: Wenn ein Ehepaar einen Kleider-schrank von vier Metern hat, gehö-ren der Frau drei Viertel davon. Wir können aber trotz unseres enormen Wachstums nach wie vor nicht die Marktnachfrage abdecken. Das hat sowohl mit den Produktions-, als auch mit den Transportkapazitä-ten zu tun – es fahren schlicht-weg nicht so viele Schiffe nach Westafrika. Aus versicherungs-technischen Gründen kön-nen wir nicht zu viele Container auf ein Schiff verladen. Ein Container fasst 120.000 Meter, und wir liefern am Tag mindestens einen Container. Dieser fährt mit dem LKW nach Hamburg und kommt dann auf ein Schiff nach Dakar oder Lagos. Wo sehen Sie die Erfolgsfaktoren für das Afrikageschäft?LAMPERT: Nicht jeder ist in Afrika erfolgreich. Am wichtigsten ist, den Geschäftspartnern auf Augenhöhe zu begegnen. Ganz anders als in Europa haben wir es in Westafrika meist nicht mit studierten Men-schen zu tun. Mit den lokalen Part-nern führt man im Allgmeinen eine andere Art von Verkaufsgesprächen als man es bei uns gewohnt ist. Das ist mehr eine lockere Unterhaltung, in der man nebenbei Geschäfte macht. Man darf sich davon aber nicht täuschen lassen: Der Blick für die Qualität ist da, man darf sich hier gar nichts erlauben. Ich bin immer wieder über das unglaub-liche Farbgefühl unserer Kunden erstaunt: Aus 150 verschiedenen Farbnuancen erkennen sie sofort die neue heraus. Und es sind unheim-lich treue Kunden, es sei denn, man versucht sie zu übervorteilen. Wie managen Sie Ihr Afrikageschäft? LAMPERT: Wir haben in Afrika ja nur rund zwei Dutzend Kunden, die wir direkt betreuen. Ausschließ-lich Großhändler, hauptsächlich in der malischen Hauptstadt Bamako. Die bekommen regelmäßig unsere neuen Muster, und dann wird gelie-fert. Es gibt da nicht so viele Kun-dendiskussionen wie in Europa üblich. Da die Marktnachfrage viel größer ist als unsere Produkti-onskapazität, entsteht einfach ein anderes Kundenverhältnis. Kopfzer-brechen bereitet uns natürlich, ob die Digitalisierung das verändern wird. Jeder Afrikaner hat heute mindestens ein Handy – wollen zukünftig beispielsweise auch Ein-zelhändler direkt bei uns bestellen? Auf Fragen wie diese müssen wir neue Antworten finden. Dazu muss man bedenken, dass Westafrika ein Wirtschaftswachstum von mehr als acht Prozent pro Jahr hat und sich die Bevölkerung in den nächsten 40 Jahren verdreifachen soll: Nige-ria wird 2050 an die 400 Millionen Einwohner haben. Und da kann man sich vorstellen, wie stark die Nach-frage für Damastgewebe in der gan-zen Region steigen wird. Auch dazu müssen wir uns Gedanken machen.Überlegen Sie auch, wie Sie die Wertschöpfung vor Ort stärken können? LAMPERT: Wir werden unsere eigene Wertschöpfung vor Ort nicht Vorarlberger TextilchampionDAS UNTERNEHMENNicht jeder ist in Afrika erfolgreich. Am wichtigsten ist, den Geschäftspartnern auf Augenhöhe zu begegnen. J. LAMPERTDAMASTSTOFFE machen heute 60 Prozent des Umsatzes der Getzner Textil AG aus.corporAID Magazin November | Dezember 201708FOTOS: BIRGIT RIEDMANN, BEIGESTELLTstärken können, weil es nicht mög-lich ist, einen Teil der Gewebeher-stellung nach Afrika zu verlagern. Für Getzner ist Afrika ein Han-delsgeschäft. Durch unser Gewebe verdienen aber mehrere Stufen – Großhändler, Detailhändler, Schnei-dereien und Stickereien, Einzelver-käufer. Sie dürfen nicht vergessen, dass diese Gewänder vor Ort genäht und in vielen Fällen sehr aufwen-dig bestickt werden. Vor allem nach Mali liefern wir auch weiße Ware, und unsere Kunden beschäftigen hunderte Frauen und Männer, die diese Stoffe einfärben und schlagen. Auch die Stickereien sind richtige Manufakturen mit professionellen Nähmaschinen. Wir leisten also schon einen wesentlichen Beitrag dazu, dass vor Ort Beschäftigungs-möglichkeiten entstehen. Wie sehen Sie den Zusammen-hang zwischen Wirtschaftswachs-tum und Nachhaltigkeit? LAMPERT: Ich glaube, dass beides möglich ist. Treiber für Nachhaltig-keit ist bei Getzner der Anspruch, möglichst energieeffizient zu arbei-ten. In erster Linie erreichen wir das durch Investitionen in neue Anlagen: Eine neue Webmaschine benötigt beispielsweise nur rund zwei Drit-tel der Energie eines alten Modells. Daher tauschen wir auch Maschi-nen aus, um unseren Energiever-brauch zu senken. Dazu liefern wir Fernwärme an Schulen und öffent-liche Einrichtungen, und unsere Abwärme heizt unter anderem das Schwimmbad in Bludenz. Auch im Bereich Laugenrückgewinnung haben wir viel getan und verwenden die Laugen mehrmals. Zudem haben wir den Wasserverbrauch in den vergangenen Jahren um mehr als ein Drittel reduziert. Nicht zuletzt ist unsere umweltfreundliche Textil-produktion bluesign- und ökotex-zertifiziert. Nachhaltigkeit ist aber mehr als Umweltschutz, es sollte ebenso um die eigenen Mitarbeiter gehen. Hier setzen wir in Bereichen wie Sport, Ausbildung, Arbeitspsy-chologie und flexible Arbeitszeiten an. Teilweise kann man sich bei uns fast wie in einem Wellnesshotel füh-len. Nicht zuletzt haben wir von den Eigentümern den Auftrag, einen Teil des Gewinnes für soziale Zwecke zu verwenden.Engagiert sich Getzner auch sozial in den afrikanischen Märkten?LAMPERT: Ja, es geht sogar der Großteil unserer Aufwendungen für soziale Zwecke nach Afrika. Wir wollen dort etwas zurückgeben, wo wir unsere Gewinne erzielen. Wir finanzieren in Westafrika Pflege-stationen und haben auch schon Krankenwagen gekauft. Zudem unterstützen wir Hilfsorganisatio-nen, die vor Ort tätig sind. Während der Ebola-Epidemie vor drei Jahren haben wir zum Beispiel die Kosten für eine ganze Quarantänestation übernommen. Vergangenes Jahr haben wir in Mali ein Schulprojekt der deutschen Entwicklungszusam-menarbeit mitfinanziert.Was macht in Ihren Augen ein Unternehmen erfolgreich? LAMPERT: Ein ganz wichtiger Punkt ist zu lernen, mit Krisen umzugehen. Für mich bedeutet das, Mitarbeiter zu halten und vor allem miteinander im Gespräch bleiben zu können. Wir haben in den vergangenen Jahren sehr mutige Entscheidungen getrof-fen, wir haben ein hervorragendes Managementteam, das gemein-sam Ideen entwickelt und diese auch in kürzester Zeit umsetzt. Unsere Eigentümer verstehen, dass wir in wirtschaft-lich schwierigeren Zei-ten keine Ausschüttun-gen tätigen können, weil wir das Geld brauchen, um einerseits Eigenkapital zu bilden und das Unternehmen stabiler zu machen und um andererseits not-wendige Investitionen zu einem großen Teil selbst zu finanzieren. Getzner verfügt zudem über eine wirklich hohe Innovationskraft. In jeder Produktsparte gibt es einen Innovationszirkel, wo sich Mitarbeiter aus unterschiedlichen Bereichen standortübergreifend austauschen können. Nach diesem Konzept beginnen wir jetzt auch, unsere Designer und Ausrüster zusammen zu bringen. Das funk-tioniert hervorragend. Ich sehe die zentrale Stärke von Getzner darin, dass wir in der Gruppe über alle Webtechnologien und damit über ein beinahe einzigartiges Fachwis-sen verfügen. Vielen Dank für das Gespräch!09Wir wollen dort etwas zurückgeben, wo wir unsere Gewinne erzielen. J. LAMPERTJOSEF LAMPERT im GesprächcorporAID Magazin November | Dezember 2017Next >